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Maria Bill - DECALAGES - Ausstellung 31. August bis 21. September 2014
Umwälzungen: Zu einigen Werken von Maria Bill Die Stadt, wie die Natur, ist ein unerschöpfliches Thema, dessen sich die Kunst oft angenommen hat, sei es mit dem Inventar ihrer Strukturen, ihrer Ästhetiken und Funktionen, oder auch ihrer Dramen und Intrigen. Es ist ein Interesse, das je nach Epoche dem wissenschaftlichen Ansatz der Geschichte, der Ökonomie, des vergleichenden Urbanismus, der gelehrten Analyse der Verortungen, der Fassaden, und so weiter – vorangeht oder folgt. Die Stadt jedoch ist auch bewohnt ! Maria Bill hat die Volumen und die Kraftlinien der modernen Stadt in Asien, in Indien, in San Francisco und anderswo, in einer wohlüberlegten Vorgehensweise untersucht, welche das Wesentliche der formalen Bezüge und der Verkehrskonzepte aufnimmt. Eine Abklärung, welche das Imaginäre auf die realen Gegebenheiten einwirken lässt, um die Wiederholungen, die Frequenzen, die Rythmen, und die Entsprechungen von Körpern und Räumen zu identifizieren. Die Stadt erscheint so als Organisation von rhomboïden Parallelepipeden, kühnen Türmen, und Strassen, deren Perspektiven sich in angedeutete Weiten ausdehnen. Freilich ist die Künstlerin weit davon entfernt, ihre Darstellung auf diese einfache urbane Abstraktion zu begrenzen. Was wir sehen, ist eine hochgradig symbolische aber ebenso originalgetreue Stadt, deren Kraft durch die Reflexion der Künstlerin herausgehoben wird. Ein <universales> San Francisco, von starken, in der richtigen Betonung ausgewählten Farben gestaltet, im Gegensatz zum Weiss und Stahlgrau des Strassengewirrs. Zahlreiche Steigungen, die sich in der Perspektive ins Unendliche verlängern; ein Effekt, der durch die Verschneidung der Fassaden in vertikale und horizontale Linien verstärkt wird. Ein Bühnenbild, vielleicht, aber ein Bühnenbild, das uns eigentllich vertraut ist. Hollywood-Kino lässt grüssen. Bis hierher nichts Anderes als sehr sicheres Zeichnen, die Kunst der erfahrenen Artistin, verstärkt durch die evidente Begabung als Koloristin. Aber Maria Bill entführt uns aus diesen bekannten Perspektiven und nimmt uns mit auf ein dem Zeitgenössischen eigenes Vorgehen, dasjenige von Verlagerungen, von Rückübertragungen, und dies bis zu virtuellen Revolutionen der Formen. Eine Verfahren, das im Extrem die Ordnung in scheinbares Chaos überführt. Es ist die Differenz zwischen der bekannten Ordnung und einer Konstellation, die ein unerwartetes Chaos zeigt, das uns beunruhigt und Dimensionen erscheinen lässt, auf die wir nicht gefasst waren. Die Fremdheit der neuen Verteilung unvermuteter Volumen schärft den Blick und erzwingt unsere Aufmerksamkeit. Die neuesten Werke verwerfen die Strasse und ihre perspektivische Vertikale. Es ist derselbe Rahmen, in Selbstauflösung. Aber – das sagt Maria Bill deutlich – es handelt sich um Umformungen, welche zu äquivalenten Bildungen in neuer Umgebung und in neuen Bezügen führen. Wie eine objektive geometrische Projektion weist diese Dekonstruktion unseren Blick aus einem verlässlich nutzbaren Raum hinaus und führt eine neue Organisation ein, ohne gewohnte Anhaltspunkte. Unmöglich, in diesen unwirklichen Strassen zu zirkulieren, die von schweren Massen überstellt sind, noch in diesen Häusern zu wohnen, deren Elemente auseinandertreiben, weggleiten und sich verschieben. Dieses ästhetisch irritierende Bühnenbild strukturiert eine neue Einheit, deren Nutzen ein anderer ist, zu überprüfen in einem Alltag, welcher uns mit einem Durcheinander konfrontiert, das lautlos geworden ist, wie bei angehaltenem Atem; ein Territorium, in das man sich vorwagen und auf welches vor allem man man sich einlassen muss, wenn man mit der neuen urbanen Struktur vertraut werden will, sich mit ihr abfinden will, um darin überleben zu lernen. Wie wenn uns das Bild diese Prüfung einer befreiten Wahrnehmung auferlegen würde. Die Kohärenz des Werks von Maria Bill kann man auch daran ablesen, dass sie ganz persönliche Atelierszenen in verwandten Bildsprachen wiedergibt. Vielleicht gibt es noch eine andere Art und Weise, diese bewegenden Bühnenbilder zu interpretieren. Was mich anbetrifft, sehe ich das Blut, das aus den Kuben herausdrückt. Ich höre das Leiden der Zerquetschten, die Verzeiflung vor solchen Hindernissen. Kann man nicht auch sagen, dass in Kobe – dargestellt mit einem prächtigen roten, allerdings eingedrückten Haus – in San Francisco, Anchorage, Agadir, Messina oder Berlin – wir selbst in Szene gesetzt sind ? Ginge man zuweit, sich zu fragen, ob der rigorosen Analyse von Maria Bill nicht eine Interpretation ihrer Bilder entspricht, die als Illustration des urbanen Dramas zu werten ist, seiner Konstanten von Destruktion und Rekonstrutkion, seinen Verwundungen, der Grausamkeit seiner geologischen Verwerfungen und seiner Kriege ? Ihre schönen Bilder würden in einem solchen Fall den Liebhaber von ausserwirklichen Transformationen zu dem Gefühl der Zerbrechlichkeit allen Wesens hinleiten. Hinter der expliziten Objektivität der Künstlerin läge etwas wie eine Warnung vor den Gefahren einer absoluten, formellen Teilnahmsloigkeit. Und noch weiter entfernt, wie eine Meditation, wie ein Allen verborgenes 'Vanitas' – Motiv, ungeachtet dessen jedoch von grosser Wirkkraft. Und es wäre also genau die strenge Neutralität der Analyse, mit welcher uns dieses Werk implizite dazu bringt, darin existentiell wirksame Kräfte wahrzunehmen. Die Kreativität überträffe sich selber um noch universellere Gesetzmässigkeiten wiederzugeben. Tod und Auferstehung ! Ewige Wiederkehr und schmerzhafte Wiederkunft. Mario Buscaglia Genf, Mai 2014 (Übersetzung aus dem Französischen Beat Selz). |
Maria Bill
Ausstellung:
August - September 2014 |