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Pierre Marquis – La couleur hors sujet
Ausstellung vom 7. März bis 11. April 2004 Er fühlt, was er malen will. Wenn das Werk vollendet ist, muss er selber nach den Elementen suchen, die sein Bild erklären, Anregungen, Hinweise, Launen, auch Begegnungen, Gedanken, Lektüre, private Angelegenheiten, die Begebenheiten des Alltags eben. Nach eigenem Bekunden hat sich der Künstler in über dreissig Jahren immer konsequenter auf die „noblen Mittel des rein pikturalen Ausdrucks“, beschränkt. Die inneren Erfahrungen lassen sich nicht ohne weiteres kommunizieren. Marquis hat gelernt, diese zu malen. Ohne Umweg über das Bewusstsein und die Kodierungen der gesprochenen und geschriebenen Sprache, ist die Malerei Ausdruck einer subjektiven Transzendenz geworden, eine abstrakte Sprache der Gefühle, mithin auch die im Foucault'schen Sinne verstandene Sprache des Sinns beziehungsweise Wahnsinns. Dies – geschrieben im Kontext der „abstrakten“ Kunst – jedenfalls dachte bereits Van Gogh . («..., es ist nur allzu wahr, dass viele Künstler wahnsinnig werden, es ist ein Leben, das – um das Mindeste zu sagen – einen sehr abstrakt (!) werden lässt ... » Brief an Théo n° 590). Man muss hier den Begriff „Wahnsinn“ ebenso wie den Begriff „abstrakt“ vielschichtig interpretieren, was den Rahmen dieses kurzen Texts übersteigen würde. Aus der Perspektive der Poesie haben auch die Grammatiker der Encyclopédie française die Abstraktion gedacht. Das Phänomen der abstrakten Malerei gehört im weiteren Sinn in den Rahmen von Linguistik und Sprachphilosophie (Wittgenstein, Eco). Diese ist eine direkte Sprache der seelischen Tiefen, die ohne Umweg über irgendwelche Zerebration gewisse menschliche Grundbefindlichkeiten in Bildern auszudrücken vermag, nicht so sehr «abstrakte Kunst» als «Kunst der Abstraktion» Die Grundelemente dieses Ausdrucksmittels sind Linien und Farben (Georges Roque, «Qu'est-ce que l'art abstrait», 2003). Diesen eignet eine eigene expressive Kraft, welche die menschliche Seele in Resonanz zu versetzen mag, im Dienst einer visuellen Semiotik, und nicht mehr von identifizierbaren Objekten der äusseren Wirklichkeit. «In der Tat, das Wichtigste in der Kunst ist die Kraft eines Werks, die menschliche Seele in Vibration zu bringen» (Philippe Sers, Vorwort zu «Du spirituel dans l'art» von Wassily Kandinsky 1954/1989). Die Organisation der Formen und die Leuchtkraft der Farben sind bewegend. Anordnung, Schnittstellen und Schichtung der nicht-mimetischen Flächen vermitteln eine räumliche, aber auch eine zeitliche Dimension. «Die Zeit ist in einem Augenblick räumlich komprimiert ... » (Ludmila Vachtova, Katalog zur Ausstellung von Maria Lassnig, Kunsthaus Zürich, 2003)). Seit den Anfängen der Abstraktion wird versucht, diese Komponenten zu einer Grammatik auszuarbeiten. Bei Marquis sind figurale Elemente ganz verschwunden. Zuletzt sah man solche etwa als von anthropomorphen schwarzen Schatten begleitete Strichfiguren, mit dem vielsagenden Titel «Die Seelen ohne Köpfe»(«les âmes sans têtes»). An ihre Stelle treten plastische Vision und nicht-figurative, bildnerische Utopie als Elemente der abstrakten Kreation. Marquis spricht von «mentalen Experimenten». Diese werden ohne weitere Vorarbeit direkt auf Leinwand, Papier oder Holz gebracht, als Zusammenklang von Linien, Farbe, Licht, Wärme oder Kälte, «clair – obscur», Form, Fläche und Tiefe, Rhythmus, Harmonie. Das sind für Marquis die Werte seiner Gestaltung. Wie die meisten Abstrakten begann auch Marquis figural. Dieser Weg wird von vielen Künstlern stets von Neuem zurückgelegt und die Ergebnisse haben wir in vielen Abwandlungen gesehen. Dies ist aber belanglos, weil die unkodierte Subjektivität der Künstlerinnen und Künstler den Umformungsprozessen eine eigene Authentizität verleiht, und dem Werk Tiefe und Bildatmosphäre vermittelt. Die quantitative Beschränkung ermöglicht im Gegenzug eine qualitative Steigerung und die Konstruktion einer eigenen („konkreten“ !) Realität. «Das Wesen der Kunst besteht darin, dass sich die Wahrheit selbst ins Werk setzt»(Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, 1935/36). Beat Selz |
Pierre Marquis
Ausstellung:
März - April 2004 |