Saaltext
“Das geht ab” sagt der professionelle Kunstmaler, dem ich die Grossformate der aktuellen Ausstellung (14.2. - 30.3.2019) bei Urs Meili in Luzern zeige. Beiden fällt es nicht ganz leicht, zu sagen, warum “es abgeht”. Es ist ein absichtslos - “intuitiv” - aber mit grösster Begabung für die plastische Uebertragung in schnellen Pinselstrichen hingeworfenes Werk, das mit spirituellem groof anzieht. Eine Gefühlsbotschaft für unser Nervensystem, welches sich selbst ein Bild macht, über den Rahmen entgrenzt. Intensiv. Meisterlich. Das sitzt. Die Künstlerin ist 26 jährig. Matur, Kunsthochschule Luzern und 10 Monate Peking. Eine reine Malerei, die nichts zeigen, nichts vorführen will, wo spärlich etwas identifizierbarer Inhalt durchschimmert, den sich die Betrachter jedoch selber erklären müssen, vielleicht archaische Assoziationen, aber alles bleibt vage. Die Wirkung ist jedoch auch fröhlich, unbeschwert, kraftvoll. Chinesen sagen “In der Atmosphäre der Freiheit kommt die Reaktion schnell”. Chinesen brauchen Metaphern aus vier Wörtern, um poetisch-philosophische Komplexe konzentriert zu kommunizieren. Die Künstlerin sagt, es bestehe eine intuitive Gemeinsamkeit ihrer Bilder mit der chinesischen Sprache. Man müsse verstehen, wie das Denken funktioniert. Man wolle sich poetisch und mit viel Offenheit in der Interpretation ausdrücken. Nicht alles müsse ausformuliert sein, weil sowieso klar, dass immer eine Differenz bestehe zwischen Beschreibung und Realität. Und Steiger sagt wörtlich: “Die chinesische Sprache ist fast wie eine Exegese meiner Arbeit”. Damit versteht man auch, dass sie gleich wieder dorthin zurück geht. Steiger will mit ihrem Werk ein Teil sein von allem, als Wichtigstes empathisch sein, sich hinein versetzen, von den Dinosaurieren oder mit einem häufig wiederkehrenden Reiterbild, das aber nicht Domination versinnbildliche, sondern Anleitung (des Tiers) und Fortbewegung. All das ohne missionarische Note, Offenheit zulassend, zu denken und zu fühlen, ohne viel beweisen zu müssen: emotionale Intelligenz. Sie ist eines dieser “êtres privilégiés” (Stefan Zweig), klug, beweglich, geistig anziehend, von grosser Feinheit und Verletzlichkeit, was alles ein Segen ist für die Kunst. Vielleicht träffe auf sie ein Name zu, den Stendhal für sich selbst erfand: Egotismus. Für eine Sendung von Schweizer Radio und Fernsehen SRF vom 15.12.2017 erklärt Fanny Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern, die Kunst von Rebekka Steiger anlässlich ihrer Einzelausstellung folgendermassen: “Zum Beispiel ist sie ein ziemlich analoger Mensch, sie ist ganz fokussiert auf ihre Kunst. Sie weiss auch in der Kunst, es ist Malerei, und in der Malerei, es ist zwischen dem Figurativen und dem Abstrakten. Und dass man das so jung schon schon weiss, was man will, das ist ein Geschenk.” Die Künstlerin selber sagt im Interview mit der Luzerner Zeitung vom 16.12.2018: “Ich musste mich neuen Situationen öffnen und bisherige Denkmuster ablegen. Das hat mir geholfen, auch in meiner Malerei neue Vorgehensweisen auszuprobieren und spontaner, intuitiver zu reagieren. Mein Umgang mit Motiv, Hinter- und Vordergrund im Bild hat sich verändert. Die Grenzen zwischen diesen Bestandteilen festzulegen, wurde weniger wichtig. Die Darstellungen sind dadurch abstrakter und wilder. “ Und weiter: “Ich finde es poetisch, dass eine Silbe im Chinesischen je nach Aussprache unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Nehmen wir etwa «Eule»: Wörtlich aus dem Chinesischen übersetzt, bedeutet es katzenköpfiger Falke. Das ist eine sehr bildliche Beschreibung, die wiederum neue Assoziationen generiert. Die Titel meiner Arbeiten sollen ebenso offen und frei interpretierbar sein.” Selbstredend liegt es dem Schreibenden fern, solche Originalaussagen der Direktbeteiligten zu kommentieren. Die Direktorin hat Recht: Philosophische Fragen stehen rechtwinklig zur Arbeit von Rebekka Steiger. Man tut gut daran, sich in erster Annäherung auf die Beschreibung zu beschränken. Aeusserst instruktiv ist auch die Aussage der Künstlerin selber. Die poetische Mehrdeutigkeit der chinesischen Sprache und Schrift ist eine wesentliche Inspirationsquelle. Hier ist eine Brücke zum Verständnis der Steiger’schen Aesthetik: Die im Werk von der Künstlerin entbundenen Verstehensbezüge betonen nicht nur die Leistung der Interpretin oder des Interpreten, sondern auch ihre Vieldeutigkeit gegenüber jeder konkreten Interpretation (nach Juliane Rebentisch, Theorien der Gegenwartskunst, 2013). Das ist auch Umberto Eco, nach welchem sich die Bedeutung eines Werks erst in der Interpretation ergibt, in der interpretierenden Subjektivität wurzelt und daher potentiell offen ist. Die Gattungsidentität der Malerei besteht in ihrer Wirkung aus der Flächigkeit der Leinwand, im Gegensatz zur Dreidimensionalität der Skulptur oder der Narrativität der Literatur. Steiger spielt mit der Vieldeutigkeit des Kunstwerks und dem dadurch freigesetzten Spiel der Assoziationen. Wenn wir in unseren Ueberlegungen noch weiter gehen wollen, stossen wir bei der Betrachtung der Werke von Rebekka Steiger auf eine Fülle von Fragen der Wahrnehmung - so sehr vielleicht eine theoretische und intellektuelle Behandlung dieses Werks befremden mag - obschon wir uns auch fragen müssen, ob nicht gerade bei der Immanenz aber auch der Aktualität dieses Werks philosophische oder gar neurowissenschaftliche Fragen bedeutsam wären. Wir können diese nur andeuten. Es ginge um die Diskontinuität der auf der Leinwand malerisch dargestellten Phänomene, bei denen das Gehirn einer Beobachterin ausreichend starke Abweichungen von seinem Erwartungsbild wahrnimmt, das auf Grund der bisherigen Erfahrung in diesem entsteht (Brigitte Seiler, Wirkfaktoren menschlicher Veränderungsprozesse, Springer 2018). Das macht das Sehereignis überraschend, unkontrollierbar, komplex, performativ - und das ist eine erste Erklärung, weshalb um die Künstlerin seit ihrer (vorübergehenden) Rückkehr aus Peking ein solches Aufsehen entstand - worüber sie selber nicht wenig überrascht ist. In der unübersehbaren Komplexität des postmodernen Diskurses stehen wir hier von einem früh gereiften meisterlichen Werk der Kunstmalerei, das alle Ingredienzien der Postmodernität in sich trägt. Im klassischen Text von Frederic Jameson (Duke University Press, 1991) liest sich dies wie folgt: “It must not emit propositions, and it must not have the appearance of primary statements or of having positive (or affirmative” ) content”. Oder anders: “Vous savez, la peinture est un métier d’aveugle” (Picasso, zitiert nach Michel Thévoz, l’Art comme malentendu, Minuit, 2017). Beat Selz, 25.2.2019 |
Rebekka Steiger
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