«Wird die Malerei der Digitalisierung widerstehen?»
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Agenda 2017 |
« Nos vertus ne sont, le plus souvent, que des vices déguisés (Unsere Tugenden sind meist nur versteckte Laster) [La Rochefoucauld] »
Die Welt wird in ein Digitalisat verwandelt – und das schon seit Jahrzehnten. Lange Zeit wurde dies kaum wahrgenommen. Die Computerisierung begann vor 80 Jahren, die Rechenkapazität hat sich alle 18 Monate verdoppelt (Moore). Der Ultraliberalismus, der zur Akkumulation unvorstellbarer Geldmacht und zur Aushebelung der Politik geführt hat, begann vor über 40 Jahren (Nobelpreis für Milton Friedmann 1976). Die Geschichte ist am Ende – postuliert bereits vor 30 Jahren (Francis Fukuyama : « The End of History and the Last Man », 1992). Und folgerichtig ist auch das Ende der Malerei angesagt – und auch dies schon seit 30 Jahren (Douglas Crimp : « The End of Painting », October, Vol. 16., Art World Follies (Spring 1981), pp. 69-86). So unfasslich dies auch scheinen mag, nach Auffassung zahlreicher Forscher ist vielleicht noch innerhalb des laufenden Jahrhunderts (!) auch das Problem, das die Menschheit seit ihren Anfängen wohl am meisten beschäftigt, kein Thema von Mythologie oder Religion mehr : der Tod. Der Transhumanismus wird ihn vom Himmel auf die Erde holen, dank Nano-, Bio-, Informations- Technologie und Neurowissenschaften (Luc Ferry, « La révolution transhumaniste », Plon 2016). Anlässlich der Entdeckung der Daguerreotypie (1837), des ersten fotografischen Verfahrens, hat der angesehenste Historienmaler dieser Zeit, Paul Delaroche, bereits erstmals die Malerei für tot erklärt, mindestens aber für pedantisch und altmodisch. Nachdem – wie man weiss – die Totgesagte danach noch weit über 100 Jahre bestens überlebt hat und mehrfach neu erfunden worden ist, mehren sich seit den 60er Jahren des 20.Jahrhunderts nun doch die Fragen. Die Zeitwende, in der wir stehen, wird, wie es sich gehört, in überrollenden Wellen von der Kunst gespiegelt. Avantgardistische Kunst wurde schon im Bauhaus praktiziert, und das paradigmatische Objekt von Duchamp stammt aus derselben Zeit. Gutes Design von Gebrauchsgütern und Produkten der Alltagskultur kann aesthetischen Rang aufweisen. Warhol und Buren haben den malerischen Gestus verschwinden lassen, und seit den 60er Jahren des 20.Jahrhunderts haben Künstlerinnen und Künstler ihre Werke entgrenzt und deren Legitimation nicht mehr in einer wie immer gearteten festgefügt aesthetischen Bildsprache sondern in den tausenfachen Varianten der individuellen Wahrnehmung durch Betrachterinnen und Betrachter gesucht. Die « Malerei des persönlichen Ausdrucks » wird als Schwärmerei der konservativen Kräfte der Gesellschaft deklariert, als festgefügte « forma mentis » des Rationalen und des Irrationalen, verankert im Museum des 19.Jahrhunderts und der korrespondierenden Entwicklung der universitären Kunstgeschichte. Ein der Kontemplation förderliches Ambiente, die inspirierende Wirkung von plastischer Kunst und erst recht die Vorstellung von deren ästhetischem, moralischem und historischem Wert werden dem Kunstidealismus zugeordnet (Lutz Hieber : Zur Aktualität von Douglas Crimp, Springer 2013), als Wahrheitsaesthetik entsorgt. Als Illustration dieses Geschehens möge die Wettbewerbsausstellung 2016 des Aeschlimann Corti Stipendiums (Bernische Kunstgesellschaft) im CentrePasquArt in Biel dienen – gemäss eigener Angabe das « bedeutendste private Kunst-Stipendium des Kantons Bern » – wo von 19 Künstlerinnen und Künstlern noch drei konventionelle, wenn auch in ihrer Aesthetik eher « hybride » Tafelbilder zeigten. Immerhin wird in der Laudatio einer Preisträgerin noch von « surrealen Traumwelten » gesprochen, welche « diffus unser kollektives archaisches Gedächtnis » aktivieren und « innere Bilder und Emotionen » wecken ! Wer Malerei als gültige Darstellung der Existenz und der Intelligenz des Menschen verteidigen will, muss Verbündete suchen. Zum Beispiel Albert Camus in seinem « Discours de Suède » (10.Dezember 1957, Nobelpreis für Literatur) : « L'art n'est pas à mes yeux une réjouissance solitaire. Il est un moyen d'émouvoir le plus grand nombre d'hommes en leur offrant une image privilégiée des souffrances et des joies communes » (Die Kunst ist in meinen Augen keine einsame Ergötzung. Sie ist ein Mittel, die grösstmögliche Zahl von Menschen zu berühren, indem sie ein privilegiertes Bild der gemeinsamen Leiden und Freuden zeigt). Oder die Kunsthalle Bern, wo man in einem nicht gezeichneten Saaltext zur Ausstellung von Ull Hohn (Frühjahr 2016) folgendes lesen kann : « In einer Zeit (90er Jahre des 20.Jahrhunderts, Anmerkung des Schreibenden), in der Malerei zugleich als wenig diskursiv und allzu selbstbezüglich bewertet wurde, stellte Hohn die Frage, inwieweit Malerei zugleich subjektiv-ästhetisch und konzeptuell produktiv gemacht werden kann und wie sozialhistorische Bedingungen und eine malerisch-materielle Sensibilität und Subjektivität gegenseitig aufeinander verweisen können ». Zuletzt noch der Archäologe Emmanuel Anati (« Aux origines de l'art », Fayard 2003), der auf der Grundlage seines Studiums der Anfänge der Kunst 17 Postulate zum kognitiven Prozess aufstellt, darunter das Letzte : « L'art visuel permet d'identifier les aspects fondamentaux des dynamiques cognitives de l'homme » (Die visuelle Kunst ermöglicht, fundamentale Aspekte der kognitiven Dynamik des Menschen zu identifizieren). Und weiter « ...le langage de l'art visuel deviendra plus universellement lisible et accessible. A 50'000 ans de distance, cette hypothèse, qui aurait été considérée comme une utopie il y a encore quelques années, ne semble pas impossible » (...die Sprache der visuellen Kunst wird zunehmend universell lesbar und zugänglich. Mit 50'000 Jahren Distanz ist diese Hypothese, die man noch vor wenigen Jahren als Utopie betrachtet hätte, nicht unwahrscheinlich). Nur am Rand sei noch angefügt, dass das weite Feld von Materialität, Gestus und Bild allein der Malerei bereits eine einzigartige Legitimität verleiht, worauf im Vorliegenden nicht eingegangen werden kann. Und damit schliesst sich der Kreis : Solange der Transhumanismus den Menschen nicht unumkehrbar verbessert hat, werden wir auch die Transmission von Materialien in Formen mittels der Verlängerung des Nervensystems in ihren hochstehenden Versionen als legitime Emanation der menschlichen Existenz betrachten dürfen. Erst danach werden wir möglicherweise darauf verzichten können ! Der Mensch war nie einfach, besonders nicht, seit er sapiens ist. In welcher Form auch immer, bleibt die Kunst eine Exteriorisation, ein Ausdruck seiner selbst, ein Kommunikationsmittel und ein Forschungsunternehmen nach der verborgenen Wahrheit. Die Malerei reiht sich spannungsfrei und nahtlos ein in die gesamte Palette künstlerischer Recherchen. « La vérité est mystérieuse, fuyante, toujours à conquérir. La liberté est dangereuse, dure à vivre autant qu'exaltante » (Die Wahrheit ist geheimnisvoll, flüchtig, immer von Neuem zu erobern. Die Freiheit ist gefährlich, schwer zu ertragen aber ebenso erhebend [Camus, op. Cit.]). Alles weitere ist Mode, tendance. Beat Selz, Juni 2016 |
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