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Einladungstext
Fritz Guggisberg (geboren 1955) ist ein Künstler, der sich nicht ans Licht drängt, der sich aber in seiner Arbeit dank lebenslang ausdauerndem Schaffen eine einzigartige Fertigkeit als Zeichner entwickelt hat und eine ebenso eigentümliche Schau der Natur. Guggisberg wurzelt in der Tradition der Druckkunst – seine Schraffur erinnert an Rembrandt oder an Robert Zünd –, aber auch des figurativen Zeichnens, wie dieses heute von zeitgenössischen Künstlern wie Alain Huck, Jean-François Luthy oder Andrea Gabutti praktiziert wird. Ungeachtet dessen unterscheidet sich Fritz Guggisberg inhaltlich von diesen Künstlern, hauptsächlich durch die Positionierung des Bildausschnitts, oft in Nahaufnahme, die er wählt, um dem vorgestellten Stück Natur Zeitlosigkeit zu verleihen. Wiewohl er dabei der Abstraktion nahe kommt, bleibt sein Werk äusserst wirklichkeitsgetreu. Die Spannung zwischen grossformatiger Abstraktion und zeichnerischer Präzision wird zur Hymne an die Natur und ihre universelle Botschaft. Deutsche Übersetzung Alfred Güdel und Beat Selz Aus dem Gehölz ans Licht
Hélène Ruch Lange verbarg sich Fritz Guggisberg (*1955) im Schatten seines Ateliers, doch mit der Ausstellung Natur als Strich bei Selz art contemporain (2016) und der vorliegenden Publikation überwindet er seine angeborene Scheu und zeigt der Öffentlichkeit Werke von ausserordentlicher Qualität. Als Ergebnis seines geduldigen und perfektionistischen Schaffens sowie seines zurückhaltenden Charakters bezeugen diese Waldlandschaften den einzigartigen Stil des Künstlers. Guggisbergs Vorstellungskraft nährt sich von der Betrachtung der Natur. Zurück im Atelier überträgt er das visuelle Erlebnis mit einer an Hyperrealismus grenzenden Genauigkeit auf das Blatt. Durch die Verwendung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiss, entsteht ein Spiel aus Schattenrissen, in denen sich ein Bild zeigt. Die Wiederholung von Form und Farbe erzeugt die Vibration, die eine Landschaft in fast holographischer Weise hervorbringt. Die vielfachen Schraffierungen der Zeichnung strukturieren den Raum, sodass die Komposition zugleich dicht und klar erscheint. Die graphische Darstellungen der Waldlandschaften Guggisbergs erinnern an gewisse Werke des Lausanner Künstlers Alain Huck (*1957), vor allem an das 2007 in Kohle geschaffene Saisie II. Beide benutzen das Homogene, das sich aus dem Gebrauch von Schwarz und Weiss ergibt, um die verschiedenen Elemente der Komposition bis zu ihrer Unbeschreiblichkeit miteinander zu vermischen. Die Tintenarbeiten auf Papier von Jean François Luthy (*1959) folgen derselben Technik, obgleich seine Zeichnung unschärfer und weniger genau definiert ist als die Arbeiten von Guggisberg und Huck. Diese Wirkung ist auf die verschiedenen Abstufungen der Grautöne sowie die Benutzung des Pinsels anstelle von Kohle und Feder zurückzuführen. Guggisbergs realistische Bearbeitung der Landschaft erinnert ebenfalls an die zeichnerische Arbeit von Franz Gertsch (*1930). Dieser verwendet fotografische Vorlagen, die er vor dem Malen auf die Leinwand projiziert. Dieser Vorgang steht im Gegensatz zur Arbeit Guggisbergs, der auf die Fotografie verzichtet, da diese die Übertragung der Gefühle verunmöglicht. Die beiden Künstler gleichen sich jedoch hinsichtlich des Blickpunktes, den sie dem Betrachter eröffnen. Obgleich seine Bilder in realistischer Weise bearbeitet werden, weist das gesamte Werk von Franz Gertsch auf die Abstraktion hin. In der Tat bietet die Komposition dem Auge des Beobachters keinen Anhaltspunkt, an dem er sich orientieren könnte, sie leitet ihn vielmehr dazu an, sich dem Werk als Ganzes hinzugeben. So verhält es sich auch mit den Zeichnungen Guggisbergs, deren vielfache Art der Komposition den Blick verwirrt, aber zugleich auch einfängt. Aufgrund eines der Abstraktion nahekommenden Schwirrens, entzieht sich der Gegenstand der Form. Es gibt weitere Künstler, die versuchen, diesen visuellen Effekt hervorzubringen. Zu ihnen zählt beispielsweise Andrea Gabutti (*1961) mit seinem Werk Ohne Titel 2008. Auf den ersten Blick scheint die Komposition, die aus vielfachen cremefarbigen Strichen auf weissem Grund besteht, keinen Gegenstand darzustellen. Erst nach einer sorgfältigen Betrachtung zeigt sich dem Blick des Betrachters ein Waldrand. Guggisbergs Arbeit überwindet die Darstellung des blossen Realismus und eröffnet über die Erinnerung einen Zugang zur Wirklichkeit. Der Kern seines Schaffens besteht in der Verbindung des getreuen Nachzeichnens mit der Kraft des Gedächtnisses. Damit verbindet sich die Gesamtheit seines Werkes nicht allein mit der zeitgenössischen Praxis des Zeichnens, sondern sie wirft auch die Fragen um das Gedächtnis auf. Dies ist eine der Hauptfragen der zeitgenössischen Kunst, wie sie etwa in den von der Thematik des Krieges geprägten Arbeiten von Christian Boltanski (*1944), Anselm Kiefer (*1945) oder auch Niklaus Manuel Güdel (*1988) – ehemaliger Schüler von Guggisberg – gestellt werden. Obwohl in diesen Landschaften keine menschliche Gestalt zu erkennen ist, deutet doch der vom Künstler gewählte Blickwinkel auf das Menschliche hin. In der Tat zeigt uns Guggisberg den Wald so, wie wir ihn beim Wandern beobachten könnten. Er wird wiedergegeben, als wäre er vom Künstler im Augenblick der Beobachtung gezeichnet: Blickhöhe und Breite entsprechen dem Erfahrungsraum des Menschen. Indem der Blick des Beobachters verwirrt wird, weckt die zeichnerische Darstellung den Eindruck des Ungreifbaren – eine charakteristische Empfinden der Erinnerung. Vor einer Zeichnung Guggisbergs fühlen wir uns als Beobachter einer Erinnerung, als würden wir Sinngebung und Erkenntnisvorgang selbst erleben. So ist im Werk des Künstlers das Thema der Erinnerung auf drei Ebenen zugegen: im Prozess der Werkschöpfung, in der Bearbeitung des Raumes und in der Formgebung. Obgleich Papier und Zeichnung sehr zeitgenössisch anmuten, war dies nicht von Anfang an eine selbstverständliche Wahl, da sich Guggisberg selber eher als Maler denn als Zeichner versteht. Die Zeichnung wurde lange als ein den anderen Techniken untergeordnetes Mittel empfunden, eines, das in den Kontext von Vorzeichnungen und Entwürfe einzuordnen war. Die Etymologie des französischen Wortes «dessin» wurde in Frankreich direkt mit seinem Homonym «dessein» verbunden, was so viel wie Absicht, Zielsetzung bedeutet. Bis ins 18. Jahrhundert verwendete man «dessein» oder «dessin» ohne zu unterscheiden, da die Bedeutung der Worte nahezu deckungsgleich war. In der Folge aber spezifizierte sich der Begriff «dessin», mit dem man eine, die übrigen Künste vorbereitende Technik bezeichnete. Ihre Aufgabe erschöpfte sich darin, lediglich ein Entwurf zu sein. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts fing man an, die Zeichnung auf Papier als autonome Kunstform anzuerkennen. Die Bedeutung, die dem Papier heutzutage zukommt, beweisen zahlreiche, spezialisierte Museen, die sich vor allem für die Erhaltung von Werken auf Papier einsetzen. Zu diesen zählt etwa das Musée Jenisch in Vevey, dessen Sammlung zu fünfundneunzig Prozent aus Zeichnungen besteht. Mit Fritz Guggisberg Entscheidung für das Papier verwendet er ein jahrtausende altes Medium, das zugleich einen hoch aktuellen Charakter besitzt. Der Gebrauch von Filz und Pigmentfarben - anstelle von Feder und Tusche - zeugt ebenfalls vom Willen des Künstlers, graphische Tradition und technische Innovation miteinander zu verbinden. Seit der Erfindung der ersten Maschine zur fliessenden Papierherstellung im Jahre 1799 durch Louis-Nicolas Robert, einem jungen Inspektor in einer Papierfabrik, wird dieses in grossen Mengen billig hergestellt. In der Folge profitierten die Landschaftsmaler vom einfacheren Zugang zum Material, um einen raschen Entwurf mit Bleistift oder Aquarell an Ort und Stelle anzufertigen. Später im Atelier nahmen sie die Skizzen wieder auf, um sie auf Leinwand auszuführen. Die Zeichnungen Guggisbergs sind in ihrem Verhältnis zur Natur hier einzuordnen. In seiner Verwendung des Papiers und dem Schwarz-Weiss folgt er der Tradition des anfänglichen Entwurfs. In seiner Arbeit im Atelier entfernt er sich jedoch von der Skizzenhaftigkeit einer in situ ausgeführten Zeichnung und verleiht ihr die Qualität eines einzigartigen Werks. Der Gebrauch des Papiers kann ebenfalls als eine poetische Geste des Künstlers verstanden werden, der seine Waldlandschaften einem Träger anvertraut, der ebenfalls in der Natur gewonnen wurde. Bei Guggisberg ist der Baum nicht nur Teil des Waldes, sondern auch eine persönliche, der Erinnerung verpflichteten Vision der Natur. |
Fritz Guggisberg
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