Texte
André Maitre Vernissage / Texte Adrien Jutard
Guten Tag Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir die Ausgabe 2014 der „Balade de Séprais“ eröffnet, in deren Rahmen André Maitres Werk „Demain“ einen besonderen Platz einnahm und grosse Beachtung fand. Dieses Werk, eine skelettierte Vanitas in Person einer Bügelfrau, entstand im Zuge der dramatischen Ereignisse im Jahr 2013, als in Syrien bei Giftgasangriffe zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen. André, der in diesen Zusammenhängen die Wiederkehr abscheulicher Verbrechen und blinder Gewalt im grossen Massstab wittert, nahm sich des Themas an und nannte seine Arbeit „Demain“: „Morgen“. Ein Blick in die Zukunft? Ich weiss es nicht. Fest steht, dass das Thema in Andrés Arbeit als Schlüsselmoment fungiert und dass die Entwicklung der Arbeiten, die wir heute glücklicherweise hier zu sehen bekommen, ihren Ursprung in diesem Zeitpunkt hat. Als ich André diesen Sommer besuchte, enthüllte er mir seine neuen Bilder im Atelier im Keller seines Hauses. Ich kenne André aus unserer Zusammenarbeit im Comité de Visarte Jura. Visarte befasst sich mit Fragen zum Alltag bildender Künstler und versucht, deren Existenzgrundlagen langfristig zu verbessern, in Anbetracht der Tatsache, dass ein künstlerisches Gesamtwerk oft deckungsgleich mit einem Leben ist. Ich erwähne dies, weil es mir sehr wichtig scheint, daran zu erinnern, dass Biografien immer und implizit mit dem Werk verbunden sind, und dass die Existenz von Kunstwerken direkt abhängt von der Sicherung der Lebensgrundlage ihrer Schöpfer, und dies nicht nur im Moment des Erfolgs, sondern auch während Phasen des Rückzugs und der äusserlichen Starre - auf lange Sicht, so wie der Obstgarten seine Früchte nur hervorbringt, wenn er auch ausserhalb der produktiven Phase gepflegt wird. Als ich also die letzten Arbeiten von André in seinem Atelier vor einigen Monaten zu Gesicht bekam, hatte ich unvermittelt das Gefühl, an einer grundlegenden Wandlung teilzuhaben, an etwas ganz Neuem in seiner Arbeit… Offenbar entging ihm meine überraschte Reaktion nicht, und vielleicht hat er mir deshalb vorgeschlagen, heute über eben diese Arbeit zu sprechen. Was ich hier sah, war genau die intime Verbindung von Biografie und Bild, es war, als ob das Feuer, das ihn mehrfach beinahe verbrannt hatte, ihm ermöglichte, seine Bilder zu erden und Realität werden zu lassen; das Bindemittel von Andrés Farben war nicht mehr Oel oder Acryl, nicht Gummi Arabicum oder Tempera, sondern tatsächlich das Feuer. André: das ist der Typ mit dem Hut, der sich ohne rot zu werden sich neben Jack Kerouac setzen könnte und ihm von seinen Reisen erzählen. Während sich in meiner Generation eine sophistische Nostalgie wie Nebelschleier über die Erinnerungen an die Bewegung des Punk, über die Beat Generation und andere Abenteuer der Sechziger- und Siebzigerjahre legen, bleibt André lebendes Zeugnis dieser Episoden. Ich rede gerne, zumal auf Französisch, und oft rede ich auch zu viel - als André mir jedoch sein Leben erzählt, wie er von Los Angeles in den Iran, vom Galata Turm nach Südamerika zog, da bleibt mir wörtlich die Spucke weg, denn dieser Mann mit Hut hat wirklich etwas zu erzählen… Es ist das starke Feuer der Rebellion, das diesen jungen Mann, Jahrgang 1949, in alle vier Himmelsrichtungen getrieben hat. Auf der Strasse, wie man so sagt, hat er alles gesehen, alles erlebt, aus sich selbst heraus und bis an die Grenze seiner Individualität, auf der sein Bewusstsein beruht, ohne sich auf andere Erklärungsmodelle zu berufen. Wenn man ganz von sich selbst ausgeht, muss man frei erkennen können, um frei zu denken. Dafür muss man leben, experimentieren, sehen, hören und sich bewegen. Und dafür müsste André bereits 10 mal zu Tode gekommen sein, aus 100 Gründen, in 1000 Ländern. Er ist bis ans Ende der Welt gegangen und hat so manches durchschaut. Manchmal fühlte er sich niedergeschlagen, manchmal haben die Erfahrungen ihn übel zugerichtet, aber seine Wahrnehmung wurde nie routiniert, er liess keine Konvention gelten, und er machte kaum je Zugeständnisse an das, was ihm die Macht der Gesellschaft überstülpen möchte. Kurz und gut : ein konsequenter Anarchist im edelsten Sinne. Jahre sind vergangen, ein neues Jahrtausend hat der exponentiellen Verstärkung und Omnipräsenz der Verbreitung von Bilder und Informationen Tür und Tor geöffnet. André, als Mensch seiner Zeit, nimmt dies zur Kenntnis, aber im Grund seines Herzens leidet er, als Künstler, an beruflichen Verdauungsproblemen: wie soll er sich selbst treu bleiben? Wie kann er frei bleiben, ein unabhängiger Denker, wenn er ständig aufgefordert wird, dahin und dorthin zu schauen, das oder jenes zu denken? Dieser neuen Form der Macht, die unsere Blicke lenkt, kann sich André nicht unterordnen. Und was tut der Künstler? Er verbrennt alles. Es ist weder das zerstörerische Feuer des Krieges, noch das reinigende Feuer des Glaubens - sondern das zeugende Feuer des Künstlers! Das Feuer, die unhaltbare Bewegung, die ihre Spuren hinterlässt. Das Feuer, das er in sich trägt und so nah erlebt hat, dieses innere Feuer, das zu seinem Leben gehört, das tritt nun hervor, verwandelt sich und richtet sich nach aussen, um Bilder zu erschaffen. Der Maler André Maitre erschafft eine neue Farbe, nach Saftgrün (vert de vessie), Ebenholz-Schwarz, Eisenoxyd-Schwarz und Rebschwarz erschafft er ein neues Schwarz: das Feuer-Schwarz, das nicht unerreichbare, unergründliche Tiefe evoziert, sondern eher einen satten Vordergrund, eine stark verdichtete Schwärze. Es ist der Wunsch nach Leere, nach Ordnung, der mit diesem Schwarz verbunden ist: die Flamme, die über den Ueberfluss herfällt, ihn überwältigt… Stellen Sie sich André vor, wie er vor seinem Fernseher sitzt, den Fotoapparat im Anschlag: er verharrt dort, fotografiert Motive vom Bildschirm ab, sammelt sie und überarbeitet sie anschliessend auf seinem Computer. Und er, der Maler, dessen Arbeit aus den Fragen an die Malerei gezimmert ist, dieser Maler beschliesst nun nicht, eine einfache Künstlercollage zu erschaffen, deren schöpferischer Wert lediglich die grafische und semantische Anordnung von kleinen, zusammengetragenen Stückchen ist. Nein! Diese Kompositionen entfalten ihren Sinn erst im Moment der Berührung mit dem Feuer, das sie ableckt, verflüssigt, arrangiert, in Schwingung versetzt. Die Bilder werden aus dieser Verflüssigung geboren. Es gehört zu den Eigenschaften der Malerei, dass sie mit Hilfe von Fliessmitteln entsteht. Das Fliessmittel ist hier aber weder Oel noch Wasser: es ist das Feuer. Deshalb haben wir es hier meiner Meinung nach nicht mit Collagen, sondern mit Malerei zu tun. Malerei, die mit einem brennenden Pinsel gemalt wurde. Der Realisierungsprozess geht hier über das einfache Ausschneiden, Anordnen, Zusammenkleben hinaus: die Anwendung von Feuer ist es, mit deren Hilfe die Komposition lesbar gemacht wird. Alberto Giacometti sagte über die Portraitmalerei, dass ihre Herausforderung nicht darin bestehe, Details möglichst genau wiederzugeben, sondern darin, mit einer einzigen Geste ein Ganzes hervorzubringen. André Maitre legt die Grundzüge seiner Kompositionen an, um sie anschliessend mit Feuer zu Werken zu schmieden, indem die jeweils mehr oder weniger geometrische Ordnung aus dem Gleichgewicht gebracht wird und so ein Zusammenspiel entstehen lässt, eine stabile Einheit, die aus nächster Nähe verbrannt wird und wie durch ein Wunder der Vernichtung standhält. Man könnte sagen: das Feuer verleiht den Bildern Authentizität. Nun öffnet sich der Ausstellungsraum: Er lässt Platz für Träumereien und Kontemplation, wir kommen zu uns, die Bilder laden uns dazu ein. Sie helfen uns, zu leben, und die Verbindungen, die wir aus ihnen und den kleinen Momenten der Stille im Alltag weben, sind weitaus weniger absurd als all der tägliche Wahnsinn, den ernst zu nehmen wir aufgefordert werden. Indem er diese Bilder einsammelt, diese Bilder einer manchmal tragischen Realität, auf die wir kaum Einfluss nehmen können trotz der heftigen Gefühle, die sie in uns auslöst, und indem er die gesammelten Bilder als Palette einsetzt, zeigt uns André dank seines sozusagen prometheischen Feuers eine Schönheit, bei deren Anblick wir nicht anders als frei sein können. Ich denke, das ist die Botschaft, die dieses Werk uns überbringen möchte. Es ist wie ein Zusammentreffen des Daseins, das den Künstler zum Malen drängt, mit dem transzendenten Wesen der Malerei, das dem Bild seine Identität verleiht. Diese Ausstellung zeigt jedes der beiden Momente für sich und gleichzeitig ihr Zusammentreffen. Danke, André ! |
André Maître
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