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Meditationen über das Elefantenwesen
von Roswitha Schild, lic.phil.I, Kunsthistorikerin Elisabeth Strässle ist eine leidenschaftliche Zeichnerin. Ebenso, wie sie mit Strichen imaginäre Punkte auf einem Blatt verbindet, sucht sie Verbindungen zwischen Dingen, die ihr begegnen, und nicht zuletzt auch Verbindungen zwischen diesen Objekten - oder Erfahrungen - und ihr selbst. Was ihr spezielles Interesse weckt, macht sie sich in einer systematischen Annäherung zu eigen. Diese Aneignung geschieht mehrheitlich zeichnend, malend jedoch bei den Paneelen, plastisch bei den TV-News-Kleinskulpturen. Dann gilt ihre volle Konzentration dieser einen Sache. Ihr Vorgehen ist konzeptionell: sie definiert das Untersuchungsgebiet, erschliesst sich schriftliche und dingliche Quellen, besucht Museen, Archive, Monumente, gibt sich Regeln für ihre Arbeit bezüglich Technik, Bildträger, Dauer etc. . Ihre Forschungsarbeit zielt auf nichts weniger, als dem Wesen der Dinge – und simultan dem Kunstschaffen - auf die Spur zu kommen. Warum Elefanten? Während man in der Jugend fast wahllos zahlreiche Erfahrungen auf sich einwirken lässt, neigt man im fortgeschritteneren Alter dazu, nur mehr Dinge weiter zu verfolgen, die sich durch wiederholte Fügungen zu einem für das eigene Lebensmuster sinnvollen Kreis schliessen. Als Elisabeth Strässle 1977 nach dem für sie schicksalhaften New York zog, sog sie die Stadt förmlich in sich auf. Im American Museum of Natural History, dem 1869 gegründeten, überwältigend reichen und stimmungsvollen Museum am Central Park West besuchte sie Abendkurse in Animal Drawing: unvergesslich, wie sie sich nachts unter Skeletten, ausgestopften Tieren und anderen Künstlerinnen und Künstlern frei im Museum bewegen konnte. Unter anderem zeichnete sie damals Affen, ein Thema, das sie gut 30 Jahre später wieder aufnahm - Elefanten hingegen nicht. Jedoch besuchte sie 1977 die legendäre Ausstellung im International Center of Photography in N.Y.C. mit den Fotografien verendender und toter Elefanten, Skeletten und Artefakten von Peter Beard. Dessen 1965 erstmals erschienenes Buch „The End of the Game“ hatte mit verstörenden Bildern verhungernder und bereits verhungerter Tiere weltweit auf das Schwinden des natürlichen Lebensraumes der afrikanischen Elefanten aufmerksam gemacht und weisse Elfenbeinjäger als feige Frevler an diesen archaischen, verstandes- wie gefühlsbegabten grauen Riesen angeprangert. Bereits zehn Jahre zuvor hatte Elisabeth Strässle Bekanntschaft mit einem sehr speziellen Elefanten gemacht, an welchen sie sich heute wieder erinnert: mit dem „Goethe-Elefanten“, den sie noch während ihrer Ausbildung zur Textil-Designerin anlässlich der dritten oder vierten Documenta im naturhistorischen Museum Ottoneum, in unmittelbarere Nähe zum Friedrichsplatz in Kassel gesehen hatte. Goethe hatte sich 1784 den Schädel des in der Karlsaue abgestürzten indischen Elefanten, der 1773 zweijährig als Hochzeitsgeschenk an den Landgrafen Friedrich II nach Kassel gekommen war, ausgeliehen zu seinen Studien über den Zwischenkieferknochen, der im 18. Jahrhundert als Unterscheidungsmerkmal zwischen Tier und Mensch betrachtet wurde, bis Goethe einen menschlichen Zwischenkieferknochen nachwies – wofür er teils massive Anfeindungen in Kauf nehmen musste. Naturhistorische Museen haben Elisabeth Strässle – wie andere Museen ebenso –schon immer interessiert. Während Kunstmuseen aber oft dem Zeitgeist folgen bei der Auswahl der Werke, die in den Schauräumen gezeigt werden, orientieren sich Naturhistorische Museen mehr an einer inneren Logik des ihnen zur Verfügung stehenden Sammlungsgutes. Dieses systematische Denken kommt der Künstlerin durchaus entgegen. Die einen ihrer in Rötel oder Bleistift und Kohle gezeichneten Elefanten sind fast durchscheinend: nur ein feines Gespinst von Linien deutet die Skelettstruktur an. Fast fühlt man sich an „das unbekannte Meisterwerk“ des alten Malers Frenhofer erinnert, wo es an einem nach zehnjährigem Malprozess einzig übriggebliebenen erkennbaren Fuss ist, dem Betrachter eine Ahnung von beseelter, fast überirdischer weiblicher Schönheit zu geben. Dahinter steht die schon von Théophile Gautier, dem Freund und Berater Balzacs, des Schöpfers der Novelle „Le Chef-d’Oeuvre Inconnu“, geäusserte Ansicht, dass es im Wesen der Kunst liegt, dass sich ihr Gegenstand im Moment der Realisierung verflüchtigt. Andere Elefanten hingegen sind mit festem und opakem Strich gezeichnet. Die Künstlerin verleiht diesen eine fast blattsprengende Solidität und Substanz, gleichsam als hätte sie eine schützende Haut über das fragile Innere gelegt. Gleichzeitig wahrt sie eine gewisse Unschärfe, welche den Darstellungen etwas fast Auratisches verleiht. Nach der Lektüre von Beards „The End of the Game“ schrieb der Schriftsteller und Regisseur Romain Gary 1966 in seinem „Letter to an Elephant“: „In my eyes, dear Elephant, sir, you represent to perfection everything that is threatend today with extinction in the name of progress, efficiency, materialism or even reason.“ Die Bilder der Elefanten verweisen auf etwas, welches weit über das reine Abbild einer Spezies hinausgeht, indem es uns alle angeht und berührt. Roswitha Schild, 2014 |
Elisabeth Strässle
Ausstellung:
07. Juni - 28. Juni 2015 Vernissage: Sonntag, 07. Junii 2015, 15:30 Uhr |